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Sonntag, 22. November 2009

Potosí und der Teufel

Auch wenn wir es selber fast nicht mehr geglaubt haben, Walter hat wieder gezaubert, unser Burro ist startklar und wir können El Alto endlich verlassen. Fast drei Wochen hatten wir nun das Vergnügen La Paz kennen zu lernen und hängen jetzt zwei Wochen hinter unserem Zeitplan her. Jedoch ist es ein gutes Gefühl, mal wieder eine funktionierende Handbremse zu haben. Von den anderen Reparaturen mal ganz abgesehen. Bester Laune fahren wir am Morgen los und haben gerade mal 20 Kilometer der Stadtgrenze von El Alto hinter uns, als unser Reifendruckgerät Alarm gibt und wir sofort danach keinen Druck mehr auf einem unserer Zwillingsreifen haben. Passender Weise sind wir gerade in einem Winzlingsdorf und Hilfe durch eine Llantería ist nicht weit. Wer hat mitgezählt? Diesmal hat weder der Reifen noch die Felge einen Schaden, sondern das Ventil ist zerbrochen. Gut das Bernd einen unerschöpflichen Fundus hat und schon eine halbe Stunde später sind wir wieder on road. Der Alti Plano beschert uns eine langweilige Fahrt immer in der Höhe von mehr oder weniger 4.000 Metern. Obschon wir das Hochland wegen seiner grünen Landschaft schätzen gelernt haben, spüren wir nun die Auswirkungen des fehlenden Regens. Alles ist staubtrocken und die Tiere nagen an den letzten vertrockneten Halmen. Die Dörfer sind extrem ärmlich und wir sehen immer mehr Hinweise über die Arbeit von Plan International, Caritas und Unicef. Auf die Großstadt Oruro verspüren wir zwar keine Lust, jedoch verpassen wir wegen fehlender Hinweise die Ortsumfahrung und bekommen so doch noch eine exklusive Stadtrundfahrt stopp and go geboten. Dann fallen auf einmal unsere gesamten Kontrollleuchten, einschließlich Tacho und Tankanzeige aus. Entnervt versucht Bernd den Kurzschluss zu finden, gibt aber dann auf, entfernt die Sicherung und wir fahren einfach so weiter. Langsam haben wir es dicke und Frust macht sich im WoMo breit. Hinter Challapata verändert sich die Landschaft und es geht wieder kurvenreich bergauf und bergab. Dann stehen wir im Stau. Ein LKW hatte Bergberührung und seine gesamte Ladung liegt auf der Straße verteilt.
Die Gegend wird immer karstiger und es wächst außer hartem Gras kaum noch etwas.
Für uns sehr schmerzlich zu sehen ist, dass nicht nur Kinder sondern auch Alte an der Straße stehen und betteln. Das haben wir bisher in ganz Südamerika noch nicht erlebt. Manchmal haben sie ein oder zwei Eier in der Hand und wollen diese verkaufen. Für die Kinder haben wir etwas und die Alten müssen sich dann eben auch damit zufrieden geben. Die Flüsse haben kein Wasser mehr, nicht mal mehr Rinnsale. Hier einer der Nebenflüsse des Río Pilcomayo. Wenn es auch für uns nicht so toll wäre, wir hoffen mit den Menschen hier auf Regen.
Vollkommen erschlagen kommen wir 540 Kilometer nach El Alto an unserem Tagesziel, der Laguna Tarapaya an. Die fast kreisrunde, 100 m breite Laguna ist ein Kratersee mit 35° warmen Wasser. Schon der Inca Huayna Capac soll hier gebadet haben. Ein kleines befestigtes Becken schließt sich an und obschon es fast dunkel ist, lassen wir es uns nicht nehmen, in das warme Schwefelwasser einzutauchen. Dann kommt ein Gewitter mit Wind und endlich, endlich ergiebiger Regen.
Am nächsten Morgen ist alles wieder vergessen und wir beschließen einen Tag Pause zu machen. Die ersten Frauen aus dem Ort sind schon da, um am Überlauf des Thermalbeckens ihre Wäsche zu waschen. Wann haben sie schon einmal den Luxus des warmen Wassers. Die gewaschene Wäsche legen sie zum Trocknen einfach auf den Boden, da ist sie dann gleich wieder dreckig.
Wir schauen uns ein wenig in der Umgebung um und entdecken das so genannte Ojo del Inca (Auge des Inkas). Das Wasser kommt hier mit 75° aus der Erde.
Sehr gut können wir hier das Blubbern erkennen und ein Schwefelgeruch verpestet die Luft.
Doch auch so manches Kleinod erfreut unser Auge, wie hier diese Staude, die wir schon sehr lange nicht mehr zu Gesicht bekommen haben
und eine einzelne blühende Pflanze mitten im karstigen Umfeld.
Die Berge bieten eine prächtige Kulisse rund um den kleinen Ort Tarapaya und seines derzeit wasserlosen Thermalbeckens.
So könnten wir es noch lange aushalten.
Da wir jedoch eine Reise und keinen Urlaub machen, zieht es uns weiter nach Potosí. Einem der traurigsten Orte der bolivianischen Geschichte. Potosí liegt auf 4.065 Metern und ist die höchstgelegene Großstadt der Welt. 1545 wurde im Cerro Rico (4.829 m) ein gigantisches Silbervorkommen entdeckt und Potosí zur reichsten und größten Stadt ihrer Zeit von Amerika und Europa. Der Silberstrom füllte Spaniens Kassen und bis heute wurden 46.000 Tonnen Silber aus dem Berg geholt. Ganze indígene Dörfer wurden entvölkert und die Menschen zur Zwangsarbeit in die Minen getrieben. Es sollen sich hier bis zu 8 Millionen Menschen zu Tode geschuftet haben. Dann verebbte das Silber und Potosí verelendete, bis zu dem Zeitpunkt als man im gleichen Berg die Zinnvorkommen ausbeutete. Es machte die Zinnbarone reich und das Elend der Indígenas nicht besser. Hier ein Blick auf die Stadt mit seinem alles beherrschenden Berg, der für die Indígenas den Eingang zur Hölle ist.
Wir suchten einen Platz für Burro und wurden von der Residencia Tarija in den schönen Hof gelassen. Allerdings mussten wir dafür auch den Zimmerpreis entrichten und Strom wollten sie uns nicht geben, auch nicht gegen Aufpreis. Doch zunächst waren wir froh, überhaupt eine sichere Bleibe gefunden zu haben. In seiner Glanzzeit hatte Potosí 36 Kirchen, die meisten sind heute verfallen. Genauso wie die einstigen kolonialen Bauwerke. Seit einigen Jahren beginnt man mit der Renovierung, doch es geht nur langsam voran, es fehlt einfach das Geld. Die Touristeninformation ist im Torre de la Compañia de Jesus untergebracht, die dazu gehörende Jesuitenkirche ist eine Ruine.
Wir standen vor verschlossenen Türen und wunderten uns, es war doch normale Geschäftszeit. Also gingen wir weiter zur Plaza, wo wir zuerst El Cabildo, das alte Rathaus zu Gesicht bekamen. Das hätte auch mal dringend einen Anstrich nötig.
Dann später auf der Plaza 10 de Noviembre wurde uns alles klar. Was war wohl? Natürlich ein Paro, ein Streik, wie so oft in den letzten Tagen. Zunächst sah es noch nach nur wenigen Beteiligten aus.
Wir erstiegen den Turm des Cafés Mirardor und hatten von oben einen schönen Blick auf das Treiben in der Stadt. Mittlerweile waren die Straßen voller Demonstranten und in der Innenstadt war dann durch eine Sitzblockade der Verkehr vollkommen lahm gelegt.
Die Kathedrale von Potosí ist seit Jahren wegen Renovierung geschlossen. Zwar durften wir hinein, jedoch Innen gab es außer Baugerüsten und Handwerkern nicht viel zu sehen. Dafür durften wir zum zweiten Male heute einen Turm besteigen und hatten dann direkt unter den Glocken einen erneuten Blick auf den Cerro Rico.
Da wegen des Streikes alles geschlossen war, blieb uns nichts weiter übrig, als nur so durch den Ort zu schlendern. An diesem Kolonialhaus mit dem Balcón de la Horca hat man in früheren Jahren die Verbrecher aufgehängt.
Dann kamen wir durch eine kleine Gasse mit renovierten Häusern.
Das Portal der Iglesia San Lorenzo ist ein Glanzstück indigener Steinmetzkunst, dem so genannten Estilo Mestizo.
Heute arbeiten die Mineros freiwillig in den Minen. Es gibt hier ja kaum eine andere Möglichkeit der Erwerbstätigkeit für sie. Allerdings sind die Umstände immer noch schockierend. Wegen der schlechten Bedingungen im Bergwerk: unzureichende Absicherung, keine ausreichende Frischluftzufuhr und Verwendung von diversen Giften zur Abscheidung der Metalle spucken die Mineros nach 5 Jahren Blut und nach allerhöchstens 10 Jahren sterben die meisten, wenn sie nicht schon vorher verunglückt sind. In früheren Jahren arbeiteten schon 8jährige Kinder in den Stollen, dass ist heute in Bolivien verboten. Doch 12 – 14 jährige müssen auch heute noch so ihre Familien unterstützen. Bernd wollte sich vor Ort überzeugen und schloss sich einer Bergwerkstour an. Alle wurden mit Anzug, Helm und Gummistiefeln ausgerüstet. Der erste Weg führte zum Mercado de Mineros. Dort wurden Geschenke gekauft: Koka (ohne Koka können die Mineros die Arbeit überhaupt nicht ertragen), Getränke, Dynamit und Zündschnur. Hier waren noch alle zu Späßen aufgelegt. Wann hat man schon mal eine Stange Dynamit in der Hand bzw. im Mund.
Die ersten Arbeiter, die für das Zerkleinern der Steine zuständig waren, bekamen ihren Anteil an Koka.
Hier ein Erzklumpen unbehandelt, frisch aus dem Stollen.
Nun bekam die Gruppe die Gerätschaften gezeigt, in denen die Metalle mit unterschiedlichen Chemikalien ausgewaschen werden.
Dann wurde es ernst, der Stolleneingang war erreicht. Wie gesagt für die Indígenas der Eingang zur Hölle.
Misstrauisch beäugte Bernd die Stollenabsicherung. Die war ja wohl eher ein Witz. In gebückter Haltung schritt die Gruppe ca. 400 Meter voran, wobei Bernd sich ca.50mal den Kopf gestoßen hat. Gut, er ist ja auch ein kleines bisschen größer als die Bevölkerung hier.
Die Indígenas glauben, dass die Metalle dem Teufel gehören. Bei jedem Gang in die Stollen opfern sie ihm Zigaretten, Koka oder Alkohol, damit er sie wieder heil ans Tageslicht kommen lässt. Vorsichtshalber machte die Gruppe es den Mineros nach, man kann ja nie wissen und ein wenig später auch noch zusätzlich ein Opfer an Pachamama. Doppelt hält besser und ist hier auch dringend von Nöten.
Rutschend wurde der Weg in die unteren Level der Stollen bewältigt. Was da so auf dem Bild herumflirrt ist der Staub in der Luft. Jeder musste ein Tuch vor dem Mund tragen, damit er wenigstes etwas geschützt war vor Arsengas, Schwefeldämpfen und Grubengas.
Auf wackeligen Leitern ging es immer tiefer nach unten (Die Arbeiter schleppen die Gesteinsbrocken auf diesen Leitern nach oben). Die Hitze wurde immer unerträglicher und das Atmen fiel schwer. Bernd nahm sich mehrmals das Tuch weg, weil er langsam das Gefühl hatte zu ersticken.
Ganz unten konnte die Gruppe Arbeiter beobachten, die mit Meißeln Löcher für eine Sprengung vorbereiteten. Das Dynamit war hier hochwillkommen. Auf das zweifelhafte Vergnügen einer Sprengung wurde dann aber von der Gruppe verzichtet.
Robbend und kletternd erkämpfte sich die Gruppe den Weg nach oben und war nach 31/2 Stunden heilfroh, wieder an der frischen Luft zu sein. Ein letzter Blick auf die Behausungen einiger der Mineros und dann ging es mit dem Bus zurück in die Stadt. Niemand hätte hier auch nur einen Tag mit den Arbeitern tauschen mögen. Bernd jedenfalls war vollkommen fertig. Dabei hat er ja nur den Weg der Arbeiter zurückgelegt und nicht einen Handschlag körperlich gearbeitet.
Im WoMo verbreitete sich mit Bernd´s Ankunft ein Schwefelgeruch. So ist das, wenn man den Teufel zu nahe kommt. Stundenlang hat er dann noch gehustet. Am nächsten Morgen hatte er Muskelkater vom Robben und Klettern. Er jedenfalls konnte sich nicht vorstellen, da unten auch noch Steine aus dem Berg zu hacken und dann auf seinem Rücken nach oben zu schleppen, auch nicht wenn er noch jünger wäre. Wieder einmal waren wir froh und dankbar in einer anderen Welt leben zu dürfen. Zumal wir auch noch wegen der extremen Höhenlage gerade mal 9° Grad im WoMo hatten. Doch wir haben ja eine Heizung, davon können die meisten hier nur träumen. Bei unserem Stadtrundgang war uns das Hostal Copacabana aufgefallen mit einem großen Hof. Dort waren wir auch willkommen. Der Hof nicht sehr schön, dafür aber billiger und mit Strom. Also sind wir erst mal umgezogen. Zwar dauerte der Paro immer noch an, doch die Casa Real de la Moneda war heute geöffnet und wir konnten uns ansehen, was mit dem vielen Silber so alles gemacht wurde. Zunächst einmal natürlich Münzen. In Potosí wurden früher die Münzen unter anderem für Spanien hergestellt. Ironie des Schicksals ist, das heute Bolivien seine Münzen aus Chile bekommt.
Das Gebäude an sich war auch recht sehenswert und gut erhalten.
mit vielen verschiedenen Patios.
Zum guten Schluss noch ein paar Silberarbeiten. In Potosí selber kann man schönen Silberschmuck kaum noch finden.
Uns hielt nichts mehr hier in dieser traurigen Stadt und so fuhren wir am nächsten Morgen weiter. Bei der Stadtausfahrt kamen wir an einer winzigen Werkstatt für Autoelektrik vorbei. Nach gut einer Stunde (gearbeitet wurde auf der Straße) war das blanke Kabel gefunden und unsere Anzeigen wieder im grünen Bereich. So konnten wir beruhigt weiter fahren und hofften wieder einmal darauf, dass wir nun endlich Ruhe haben. Viele Kilometer fuhren wir über eine punaartige Hochfläche, um dann hinter Chiclani 1000 Meter in das Tal des Pilcomayo abzusteigen. Wir überquerten den Fluss (der endlich Wasser mit sich führte) auf einer modernen Brücke mit Blick auf die schöne alte Hängebrücke aus dem 19. Jahrhundert.
Nun mussten wir noch einmal hinauf um einen Pass zu bezwingen, nur um gleich danach wieder nach Yotala hinunter zu fahren. Dann war unser Fahrziel Sucre, die Hauptstadt Boliviens erreicht. Unproblematisch gestaltete sich die Durchfahrt bis zum Hotel Austria gegenüber dem Busbahnhof und unserem Stellplatz in dieser Stadt. Sucre wird auch die weiße Stadt genannt und war nach Potosí eine Wohltat für unsere Augen. Sehenswürdigkeiten hat Sucre nicht viele, hier ist die Sehenswürdigkeit das gesamte Stadtbild an sich. Wie immer fingen wir an der Plaza, die hier 25 de Mayo heißt und wunderbar begrünt ist an. Dominierend ist das Standbild von General José de Sucre, dem Freiheitskämpfer und Namensgeber der Stadt.
In voller Pracht der ehemalige Regierungspalast heute ist darin die Prefectura.
Natürlich gehört es zum Pflichtteil eines jeden Besuchers, die Casa de la Libertad (Haus der Freiheit) zu besuchen, der Ausdruck des bolivianischen Nationalstolzes. Im Salón de la Independencia wurde am 6. August 1825 die Unabhängigkeit Boliviens erklärt, hier kann man die Urkunden einsehen und die Gemälde der Freiheitskämpfer Bolíviar, Sucre und Ballivián bewundern.
So ganz nebenbei bekommt man noch einen Ausblick auf schöne Gebäudeteile.
Das Eingangstor der Kathedrale
und ihr schöner Glockenturm.
Ein einziges Museum haben wir uns angesehen und zwar das Museo Textil Etnográfica y Arte Indígena. Ausnahmsweise gab es hier Erklärungen in Deutsch und wir fanden hier alles so faszinierend, dass wir einen halben Tag in dem Museum verbracht haben. Hauptsächlich Webarbeiten von ausgesuchter Qualität und Schönheit waren zu bewundern.
Doch auch Festtagskleider und Tanzkostüme der verschiedenen ethnischen Gruppen.
Noch einmal eine Kirche, die Iglesia Santa Teresa und dann waren unsere Füße stadtmüde. Wir brauchten unbedingt einmal etwas zum Entspannen.
Da bot es sich an, dass einige Kilometer außerhalb, im noch betriebenen Zementwerk, 1994 mehr als 5.000 Fußabdrücke von über 300 verschiedenen Dinosauriern entdeckt wurden. Man hat nun dort so etwas wie einen Jurasik Park angelegt. Wie wir unschwer schon von außen erkennen konnten.
Drinnen begegneten uns alle bekannten Arten von gerade geschlüpften Jungtiere
bis hin zum T-Rex.
Wobei fast zu übersehen war, dass der hier der der Grund für unseren Besuch war
und natürlich die Fußabdrücke, die leider etwas weit entfernt, aber dennoch wegen ihrer Größe gut zu erkennen waren.
Der mehr als handtellergroße Falter wollte wohl bei diesen Größenverhältnissen auch nicht zurückstehen.
Wieder auf unserem Stellplatz glaubten wir unseren Augen nicht zu trauen. Jetzt gibt es schon Dinosaurier unter den WoMo´s. Eine Schweizer Familie mit drei Kindern wagt sich mit diesem Ungetüm durch Südamerikas Städte. Unser Burro bekam da fast Komplexe.
Da ab jetzt die Straße nur noch Piste und für uns nicht mehr befahrbar ist, müssen wir die gesamte Strecke über Potosí und Oruro bis zur Laguna Tarapaya zurück fahren. Dafür können wir noch einmal einen entspannenden Abend mit Bad an der Lagune verbringen, bevor wir wieder in neue Gebiete vorstoßen.